Im Hinblick auf göttliche Offenbarungen und wissenschaftliche Forschungen stehen sich zwei unterschiedliche Informationsträger gegenüber: Zum Einen herabgesandte Offenbarungen und von Mittlern gebrachte Botschaften und zum Anderen Befunde, die sich auf Technologie, Wissenschaft stützen können. Wenn man diese beiden Auffassungen einzeln betrachtet, so stellen beide einen Wahrheitsanspruch dar, die den Menschen eine Erwiderung ihrer Bedürfnisse versprechen. Dabei stützt sich die Religion auf Darstellungen, während die Wissenschaft die fassbare Materie verkörpert. So bedienen sich beide auf verschiedenen Ebenen der menschlichen Vorstellungskraft. Während die Religion auch auf phantastische Stilistik zurückgreifen kann, muss sich die Wissenschaft auf rationelle Schilderungen begrenzen.
Die Religion argumentiert, dass sich die Wahrheit vor den Augen des Betrachters erstreckt und nur begriffen werden muss. Diese Aussage beinhaltet gleichzeitig die Aufforderung, den Sachen auf den Grund zu gehen. Dies kann am besten durch wissenschaftliche Methoden getan werden. So stellt man sich auch die Frage, wo denn die Spannungsfelder zwischen Religion und Wissenschaft liegen? Um diese Frage zu behandeln, müssen wir verschiedene Positionen verschiedener Religionen betrachten. Doch sollten wir schon von vorneherein unterstreichen, dass eine überzogene subjektive Betrachtungsweise uns daran hindert, ein ehrliches Urteil zu fällen.
Das Verhältnis zwischen der Identität, der Religion und der Freiheit ist bei der Herangehensweise dieser Problematik von besonderer Bedeutung. Wenn wir die Islamische Geschichte betrachten fällt auf, dass zu Zeiten von Herrschern oder Führungspersonen, welche sich Gott besonders verpflichtet fühlen, die positiven Wissenschaften eine Blütezeit erlebt haben. Die Ausprägung und Förderung der Kunst, Lyrik, der Rechtswissenschaften, der Kultur sowie der Architektur erfolgte rasch. Doch sobald man der Wissenschaft den Rücken gekehrt hat, hat sich das Unwissen und die Trägheit verbreitet und so zu einem intellektuellen Rückgang geführt. Auch in der christlichen Welt sahen sich die Verfechter des Rationalismus und des wissenschaftlichen Fortschritts zahlreichen Repressalien ausgesetzt.
Doch mit der Zeit gewannen rationalistische Ansichten immer mehr Unterstützung der breiten Bevölkerung, welche sich immer bestimmter am Wiederstand gegen die kirchliche Fremdbestimmung beteiligte. Dieser Wiederstand gipfelte in der Französischen Revolution. Die Aufwertung rationalistischer Ansätze war maßgebend für die weitere Entwicklung des Rechts, der Politik und neuer ökonomischer Ansätze, welche die Selbstbestimmung des Menschen in den Vordergrund rückten.
In der Islamischen Welt prägen heutzutage materielle Ungleichheit und der Mangel an wissenschaftlichen Errungenschaften das Bild. Auch das Bewusstsein der Bevölkerung erlebt einen Wandel. Man versucht ernsthafte Lösungsansätze zu entwerfen und nach den Quellen dieser Misere zu suchen. So fragen sich manche, inwiefern das Kultur- und Religionsverständnis die heutige Lage beeinflusst oder beeinflussen wird. In diesem Zusammenhang werden traditionalistische Ansätze zunehmend hinterfragt.
Die Annahme, dass eine Kompatibilität von Religion und Wissenschaft nicht gegeben sei, sorgt für eine weitere Verschärfung dieser Gegebenheiten. So werden soziale und gesellschaftliche Probleme nur unzureichend angegangen. Hierbei entsteht eine Lücke, welche das Schwarz-Weiß-Denken begünstigt. Dies sorgt dafür, dass man sich von alternativen Lösungsansätzen entfernt und zunehmend in alte Muster zurückfällt.
Um eine fortwährende Entschärfung dieser Probleme zu gewährleisten bedarf es an geschultem Personal. Gleichzeitig ist ein Bewusstsein von Nöten, welches an der praktischen Umsetzung von theoretischen Ansätzen und Theorien interessiert ist.
Denn die Schrift des Islam ermutigt die Menschen in zahlreichen Versen nachzudenken, zu hinterfragen und einen kritischen Blick auf die Dinge zu wahren. Ich glaube, dass dieses Jahrhundert maßgebend für die erfolgreiche Synthese von Religion und wissenschaftlichen Methoden sein wird. Grundvoraussetzungen für die Lösung der aktuellen Probleme in der Islamischen Welt sind ein ehrlicher Wille und Aufrichtigkeit.
Von: Hasan Mustafa Arslan